Newsletter 2021 / 03 | Frühlingserwachen

Die ersten Frühblüher, das Vogelgezwitscher am Morgen, wärmere Sonnenstrahlen und längere Tage erwecken unseren Lebensgeist, der sich im Winter zurückgezogen hat. Unsere Sinne sehnen sich nach Impulsen durch Farben, Gerüche, Berührungen und Geschmäcker, welche uns mit dem erwachenden, neuen Leben verbinden.

Sind das nur oberflächliche, vergängliche Aspekte, welche uns von wesentlichen Dingen ablenken oder können sie uns mehr lehren?

Das Frühlingserwachen erinnert uns daran, bewusst und froh zu leben, alles um uns herum achtsam wahrzunehmen, aufzuwachen aus der alltäglichen Routine und die kleinen Wunder zu erkennen.

Tantra lehrt, dass uns jede Sinneserfahrung helfen kann, bewusster zu werden. Es kommt einfach darauf an, wie wir ihr begegnen: konsumieren wir den Genuss der Sinneserfahrung unbewusst und routinemässig oder bringen wir Achtsamkeit in diesen Moment und geniessen die Erfahrung in all ihren Nuancen?

Wenn wir zum Beispiel etwas besonders Gutes essen, können wir dies tun abgelenkt von anderen Dingen (Zeitung, Handy, Leute, etc.), so dass wir den Geschmack der Nahrung gar nicht wahrnehmen und nur kurz das befriedigende Sättigungsgefühl erkennen oder wir können jeden Bissen bewusst geniessen und wahrnehmen, was der Genuss in uns auslöst. 

Die Bewusstheit in der Erfahrung bringt eine grosse innere Zufriedenheit und Zentriertheit mit sich. Wir lernen ganz im Moment präsent zu sein, eins zu werden mit der Erfahrung, ohne uns darin zu verlieren. Die Unbewusstheit in einem solchen Moment kann uns abhängig machen von der Erfahrung, da ein Gefühl der Unbefriedigung zurück bleibt und wir uns nach einer erneuten Erfahrung sehnen, die uns mehr befriedigt. Wenn wir uns hingegen dem Sinneseindruck ganz hingeben, ohne mit unserer Aufmerksamkeit abzuschweifen, können wir unseren normalen Grenzen sprengen. Wir vergessen mögliche Sorgen oder Pläne, bis unser Bewusstsein sich ganz vereinigt mit der Erfahrung. Dies bringt uns zu einem Zustand der inneren Freiheit.

Das gleiche Prinzip gilt für alle Sinneserfahrungen, auch für die erotische. Die Bewusstheit in der Sinnlichkeit befreit uns von Fesseln und Erwartungen. Sie erzeugt einen Zustand von innerer Ruhe und Losgelöstheit. Der tantrische Pfad wird auch der Pfad der höheren Askese genannt: damit ist gemeint, dass der Praktizierende Sinneserfahrungen nicht vermeidet, sondern seine Fähigkeit Bewusstheit in die Erfahrungen zu bringen verbessert und dadurch ein inneres Gleichgewicht herstellt. Je intensiver die Situation ist, desto grösser muss die Fähigkeit bewusst zu bleiben sein. Es ist wie bei einem Surfer, der die Meisterschaft auf der Welle zu reiten verbessert, bis er auf ganz grossen und starken Wellen Kunststücke machen kann, ohne im Wasser unterzugehen. Wie der Surfer seine Meisterschaft erlangt durch Übung, so auch der Tantrika. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist die Konzentrationsfähigkeit des Geistes, welche durch verschiedene Yogaübungen gestärkt und perfektioniert werden kann. Die Selbstdisziplin ist auf dem tantrischen Weg eine wichtige Eigenschaft, damit wir durch intensive Sinneserfahrungen wachsen können.

Übung:

  • Wähle einen Sinneseindruck aus: eine duftende Blume, harmonische Musik, etwas Köstliches zum Essen oder eine sanfte Berührung durch jemanden
  • Nimm dir Zeit, ruhig zu werden und dich zu entspannen. Du kannst dich für einige Minuten auf deinen Atem konzentrieren, ohne ihn zu beeinflussen.
  • Lass nun den Sinneseindruck auf dich wirken. Konzentriere deine Aufmerksamkeit ganz auf den gewählten Sinn. Wenn der Geist abschweift, bring ihn zurück zur Erfahrung.
  • Lass die Erfahrung dein ganzes Wesen erfüllen.
  • Nun versuche, diesen Prozess als Beobachter wahrzunehmen. Lass dir Zeit dabei.
  • Zum Schluss nimm wahr, was diese Erfahrung in dir bewirkt hat, wie du dich fühlst.
  • Wenn du die Übung mit jemandem zusammen machst, wechselt dann die Rollen und zum Schluss tauscht ihr euch aus.
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